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Präsident Erdogan möchte die Wahlen in 2019 um jeden Preis gewinnen; nein, er muss sie gewinnen. Denn im Falle einer Niederlage und einer Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit in der Türkei würden er und seine Vasallen sich wegen diverser Verfassungsbrüche, Korruption und Terrorismusunterstützung vor Gericht und wahrscheinlich im Gefängnis wiederfinden.
Nach der erfolgten Gleichschaltung der Medien, der Abschaffung der Judikative, der Zerschlagung der Opposition und der Selbsternennung zum "Reis", dem Oberhaupt der Türken, zückt Erdogan nun die nationalistische Karte und koppelt diese an den politischen Islam der Muslimbrüder.
Unterdessen verdichten sich die Anzeichen, dass Erdogan den ganzen Nordwesten Syriens, von Afrin über Jarablus, von Azaz bis nach Idlib als Protektorat dauerhaft besetzen will. Dabei knüpft er an das Osmanische Reich an, und Erinnerungen an die Übernahme der Provinz Hatay Ende der 1930er Jahre werden wach.
Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg auf Afrin mit seinen Kriegsverbrechen, wie der Völkerrechtler Norman Paech dies in einem Artikel der in Deutschland erscheinenden Zeitung "Yeni Özgür Politika" benennt, dient Erdogan dazu, die türkische Bevölkerung in nationalistischer Euphorie hinter sich zu scharen.
Dabei bedient er sich einer einfachen Formel: "Wer hinter mir und dem Krieg steht, ist ein guter Türke, wer gegen den Krieg ist, ist ein Vaterlandsverräter." Nationalismus und "Türkentum" will Erdogan nicht der rechten Konkurrenz der neuen IYI-Parti oder der faschistischen MHP überlassen. Diese Parteien könnten eine ernsthafte Konkurrenz für die AKP sein. Deswegen macht es aus Erdogans Sicht Sinn, auf einen aggressiven und euphorischen Nationalismus zu setzen.
Damit dies flächendeckend umgesetzt wird, werden sämtliche Regierungsinstitutionen, Medien und zivilgesellschaftliche Organisationen in die Kampagne einbezogen. So traut sich kaum einer aus der noch im Lande verbliebenen kritischen Mittelschicht Kritik zu üben. Die wenigen Mutigen landen postwendend im Gefängnis. Über 500 Menschen wurden seit der Afrin-Invasion inhaftiert, weil sie auf ihren Transparenten, Plakaten oder in den sozialen Netzwerken für Frieden und ein "Nein zum Krieg" eintraten.
In den Schulen malen die Kinder heroische Kriegsbilder. In der Provinz Hakkari ordnete eine Lehrerin an, solange für einen Sieg der türkischen Armee in Afrin zu malen, bis die "Terroristen" besiegt sind. Selbstverständlich wird den ahnungslosen Kindern nicht erzählt, dass die türkischen Soldaten dafür Kinder wie sie ermorden und Schulen und Krankenhäuser im Kanton Afrin bombardieren.
Die Religionsbehörde Diyanet lässt in den 90.000 Moscheen des Landes für die heroischen Soldaten Gebete und Predigten abhalten. Das Gleiche geschieht in den meisten Moscheen des deutschen Ablegers Ditib. In einem Video aus einer Moschee in Süßen/Baden-Württemberg betet ein Imam vor Kindern: "Möge Allah beim Sieg unserer Armee helfen ... Möge Gott beim Kampf gegen die Terrororganisation helfen."
Die Religionsbehörde hat am Freitag eine Ansprache für das Freitagsgebet an alle Moscheen herausgegeben, worin es heißt: "Der bewaffnete Kampf ist die höchste Stufe des Dschihad. Der Kampf für das Vaterland ist Dschihad."
Die großen Fußballclubs in der Türkei zeigen ebenfalls ihre Solidarität mit dem Krieg gegen Afrin und erreichen mit ihren Botschaften große Teile der Bevölkerung, denn Fußball spielt in der Türkei eine wichtige Rolle. Die drei großen Istanbuler Fußballvereine, Fenerbahce, Galatasaray und Beşiktaş twitterten zum Beispiel: "Wir sind an der Seite unserer türkischen Streitkräfte", "unsere Herzen und Gebete sind mit ihnen."
Auf einem Video ist zu sehen, wie bei einem Spiel des türkischen Pokalsiegers Konyaspor eine Choreografie gezeigt wurde, in der ein Panzer auf ein Bild von Afrin schoss. Unter dem Jubel der Fußballfans wurde die Stadt symbolisch zerstört. Der AKP-Bürgermeister des Istanbuler Bezirks Bağcılar (AKP) schrieb dazu eigenhändig auf ein Geschoss: "Diese Granate ist für Afrin."
Der größte Unternehmerverband der Türkei, TÜSIAD, gab eine öffentliche Sympathieerklärung für den Krieg gegen Afrin ab. In Ankara bieten Industrieunternehmer ihren Arbeitern Urlaub an, damit diese an den Kämpfen teilnehmen können.
Mitglieder der Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes, Kamu Sen, posierten in militärischer Kleidung und erklärten ihre Unterstützung für die türkische Armee. Dorfschützern (gegen die PKK) im Südosten der Türkei wurde von der Regierung angeboten, sich gegen 300 türkische Lira (rd. 65 Euro) täglich den Milizen in Nordsyrien anzuschließen.
Von den Parteien neben der AKP gibt es außer der linken HDP keine Partei, die den Angriffskrieg kritisch sieht. Auch die republikanische Volkspartei CHP setzt auf das "Türkentum" und intensiviert ihren anti-kurdischen Kurs. Der Parteichef der CHP, Kilicdaroglu, sicherte seine Unterstützung zur "Operation Olivenzweig" zu und wünschte den türkischen Soldaten "Gottes Schutz":
"Dies ist eine nationale Frage. Es geht um die Grenzsicherheit der Türkei und deshalb unterstützen wir das mit all unseren Möglichkeiten." Kilicdaroglu, Vorsitzender der CHP
https://www.heise.de/tp/features/Der-tuerkische-Nationalismus-in-neuer-Bluete-3972587.html
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