via Marco Modano

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Sizilien: Ankunft von 219 Geflüchteten
Am 21. Oktober bekommen wir schon Nachmittags von mehreren Kontaktpersonen den Hinweis, dass Abends gegen 20.30 Uhr ein Schiff mit Geflüchteten im Hafen Pozzallos eintreffen wird.
Als Philipp, Elli und ich am Hafen eintrudeln und ich meinen Presseausweis gezückt halte, weht ein kalter Wind. Das Schiff der Ärzte Ohne Grenzen (MSF) legt gerade an.
An Bord: 219 gerettete Menschen in Plastik-Anzügen, die MSF-Crew und ein Fernseh-Team. Vor und auf dem Boot herrscht eine fast schon unangenehme Stille. Niemand sagt etwas und es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis das Boot endlich angelegt hat. Das einzige menschliche Geräusch ist das Weinen von Babys an Board.
Über einen langen Steg werden langsam Frauen und Kinder auf italienischen Boden geführt. Einige werden von Ärzten getragen, da sie nicht mehr laufen können. Ankommende lachen und ihre Erleichterung ist deutlich zu spüren.
Diese wird jedoch schnell gebremst, denn: Eine Traube von italienschischer Polizist*innen verschiedener Einheiten nimmt die Geflüchteten nicht gerade freundlich in Empfang.
Ein Polizeifotograf hält allen Geflüchteten die Kamera ins Gesicht und natürlich wird geblitzt. Die zuständige Beamtin leitet die Geflüchteten an, eine Handbewegung zur Schulter zu machen, sodass das angelegte weiße Bändchen mit Nummer auf dem Foto zu sehen ist.
Ein weiterer Polizist nimmt den Geflüchteten mit einem großen Device die Fingerabdrücke ab und macht nochmals ein Foto. Jede*r Geflüchtete ist ab jetzt identifiziert und registriert. Gesprochen wird mit den Geflüchteten nicht, die Stimmung ist alles, nur nicht „Refugees Welcome“.
Besonders kranke oder verwundete Menschen werden in einem notdürftig zusammengesteckten Zelt oder Krankenwagen versorgt. Das Zelt wird in den nächsten Minuten vom Wind auseinandergeweht und die sich darin noch befindenden Geflüchteten stehen ohne Schutz vor allen gaffenden Menschen neben den Zeltbetten.
Die letzte dort noch sitzende Person bekommt das Zeltbett von Ärzten förmlich unter dem Hintern weggezogen.
Nach Abschluss der Identifikation werden die Geflüchteten zu einem Bus geleitet; mit Brötchen und etwas zu trinken in der Hand finden sie die Sitzplätze mit Plastiküberzügen vor.
Sobald sich ein Bus gefüllt hat, werden diese in den militärisch abgeriegelten Hotspot am Hafen von Pozzallo gefahren. Die Öffentlichkeit hat hier keinen Zutritt und die Geflüchteten sind fort an hier Grenzsicherungsorganisationen wie Frontex ausgesetzt.
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Dank unserer Recherchen und zahlreichen Gesprächen mit italienischen Augenzeugen und Geflüchteten wissen wir, was nun passiert.
Die Geflüchteten werden angeleitet (Druckmittel: Erleichterungen im Asylverfahren), die Person zu verraten, die das Boot gefahren hat. Sobald diese Person ermittelt und als „Schlepper“ kategorisiert wurde, erwartet sie in Italien eine Haftstrafe bis zu 15 Jahren.
Desweitern besteht das Schnellprüfverfahren aus zwei Fragen:
„Aus welchem Land bist du eingereist?“
„Willst du hier arbeiten?“
Kommt der/die Geflüchte aus einem sog. „sicheren Herkunftsland“, kann kein Asylantrag gestellt werden. Antworten Geflüchtete auf die zweite Frage mit „Ja, ich möchte arbeiten“, wird der Status eines „Wirtschaftsflüchtling“ angenommen, und ebenfalls kein Asylverfahren eingeleitet.
Die Grausamkeit dieser Vorgänge möchte ich an dieser Stelle nicht weiter zu kommentieren. Denn eine dramatische Folge dieser Herangehensweise von Frontex und anderen Organisationen ist:
Obdachlosigkeit. Geflüchtete Menschen landen in zahlreichen Fällen auch ohne Angabe von Gründen von heute auf morgen auf der Straße. Sie haben keine Rechte, sind offiziell „Irregulars“ und bekommen 7 Tage Zeit, das Land zu verlassen. Was natürlich für keine*n Geflüchtete*n möglich ist.
Erst heute Mittag haben wir David kennengelernt (siehe Bericht vom 27.10. http://j.mp/--david) und gesehen, wie zerstörerisch und erniedrigend dieses menschenverachtende System sich auf geflüchtete Menschen auswirkt.









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